Die Europäische Mitte hat ihre Mitte verloren

Das politische Patt – ein psychiatrisches Problem der Volksparteien, ein psychisches Problem der Verwalter der Macht

 

 

Dass auch Politiker Menschen sind, dass das Schicksal ganzer Völker von der Befindlichkeit einzelner Machthaber abhängt, zeigt sich am Verhalten der Bürgerparteien nach den Wahlen von 2017: weil ein Mann mit einem anderen nicht gut kann, gehen die Volksparteien die dringend gebotene Koalition nicht ein. Beide sozialistischen Parteien werden ihrem demokratischen Auftrag nicht gerecht, reagieren nicht auf ihren Auftrag, übertragen von ihren Wählern, ziehen sich narzisstisch gekränkt in die Opposition zurück. Stattdessen sollten sie die Parteiführung austauschen und ihrerseits auf die konservativen Parteien zugehen mit der drängenden Bereitschaft zu Koalitionen. Wie anders können sie glaubwürdig bleiben mit ihrer Kritik an Populisten, die sie als schädlich bezeichnen und für drohende Gefahren vorbeugend verantwortlich machen? Doch nur, indem sie nicht mehr nur auf sich selbst und ihre eigenen Argumente als Partei hören, sondern auf das, was aus dem Volk tatsächlich offenbar wird. Nicht, dass man – selbst populistisch – alle diese Töne und Befindlichkeiten hörig in Politik umsetzen müsste, nein, es geht um das Wissen darum, um das ehrliche Befassen damit im Sinne des Auftrags, der ihnen vom Volk gegeben wurde: Verantwortungsvoll für das „gemeinsame Gut“ zu handeln, nicht für eine Spaβgesellschaft und nicht für die Macht einer Partei.

Wie konnten die Konservativen nur hoffen, glaubwürdig zu bleiben, indem sie einerseits sagten, ihre Protestwähler hätten die Rechten nicht aus Überzeugung gewählt, nur um dann erst recht die Rechten regieren zu lassen, Jene, von denen sie sagen, dass ihre davongelaufenen Protestwähler sie gar nicht wirklich wollten?

Die Schuldigen an Ratlosigkeit und Verwirrung nach diesen Wahlen sind beide bürgerlichen Parteien: mit ihrem nachgerade narzisstischen Verhalten demonstrieren sie ihre wahre Motivation. Ginge es ihnen nicht nur um die eigene Macht, könnten sie ihren eigenen volkseinlullenden, selbstgerechten Populismus beenden, aufhören mit antinationalem Getöse, das alle Patrioten verschreckt, stattdessen die akzeptablen, „vernünftigen“ Argumente der abtrünnigen bürgerlichen Wähler übernehmen und gemeinsam eingedenk der bisher erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft gemeinsam ihre Länder weiter verwalten. All die gegenseitigen Bezichtigungen sind nichts als unglaubwürdiges Gerede, das verrät, dass dahinter nur der Machtwunsch drängt. Auch die direkte Koalition mit den Vertretern nationalistischer Argumente ist ein fataler Fehler, der sich in Kürze als Fortsetzung der immer schwächer werdenden Demokratie präsentieren wird. Zu Kurz gedacht, leider. Geifernd, mit bebenden Nüstern, stehen sie jetzt in den Startlöchern, Jene, die tatsächlich Nationalisten sind, Jene die den guten Ruf des Patriotismus zu zerstören schafften, indem sie die bürgerlichen Parteien zu antinationalen Parolen provozierten. Nicht sie aber, sondern die bürgerlichen Parteien haben diesen guten Ruf des Patriotismus zerstört und damit ihre Wähler verloren. Beide Länder der Mitte haben jetzt ihre Rechtsparteien in den Parlamenten sitzen, die Einen, weil sie sich sich über den Tisch ziehen lieβen, die Anderen, weil sie schmollend abzuwarten gedenken und gnädig mit den Kleinen verhandeln, beide, weil sie nicht willens und nicht imstande waren, ihre Sozialpartner, die Sozialisten, deren Viele als Arbeiter zu wohlhabenden Bürgern geworden sind und die Arbeiterpartei zu einer bürgerlichen Partei werden lieβen, zurück an den Tisch der Sozialpartnerschaft zu bringen und beispielgebend für das Europäische Projekt und das Beispiel Europas für die Welt zu wirken: als Vertreter von Völkern, deren Bürger fair miteinander umgehen wollen, miteinander, nicht gegeneinander als soziale Feinde in einem Kalten Krieg der Parteien. Nicht der Streit ist Demokratie, sondern die Gemeinsamkeit in Fairness, eingedenk der wirklichen Menschenwürde, nicht nur der kühlen Menschenrechte eines Rechtsstaates, der befiehlt, verbietet und sich als Diktator der Mehrheit entlarvt. Wer Demokratie als nichts anderes sieht denn als Mittel fuer persoenliche Freiheit, hilft der Demokratie scheitern und untergehen, wie es die Alten prophezeihten.

Diskussionen über Demokratie in unseren Tagen gehen weitgehend am Hauptthema vorbei: es wird zwar erwähnt, dass Viele die Politik als schwach erleben und meinen, die Macht hätten die Wirtschafts-Multis; aber dass es sich tatsächlich so verhält, dass die Wirtschaft die Gesellschaft quasi still und leise, jedenfalls unterschwellig, in eine Konsumgesellschaft umfunktioniert hat, in der man mehr betreten als hilflos diskutiert über die eigenen Werte – nein, diskutieren kann man das eigentlich nicht nennen – jedenfalls eine Gesellschaft, in der alle sogenannten Werte zugunsten vorgeschobener Argumente wie der Erhaltung von Arbeitsplätzen (die dann dennoch verloren gehen) geopfert werden, wenn auch oft heimlich in Übersee, dort, wo man es nicht täglich ansehen muss, heimlich auch, wenn dann plötzlich europäische Waffen in den Händen von Parteien auftauchen, gegen die europäische Länder als Hilfestellung vorgehen. Was noch erfolgreicher in politischer Korrektheit aus der öffentlichen Debatte ferngehalten wird, ist die Tatsache, dass diese „Wirtschaft“ von Milliardären regiert wird, denen es bisher erlaubt geblieben ist, einen social divide von noch nie dagewesenem Ausmaβ zu verursachen, mitten in – oder besser gesagt zwischen – demokratischen Staaten, die damit wieder alle ihre Werte mit Füβen treten – gerade mal noch einige „linke“ Politiker wagen es zu erwähnen; die Sozialisten sind längst Bürger neben den konservativen Bürgern mit flieβendem Übergang. Alle Bürger und Parteien der Mitte tun so, als wüssten sie von dieser Schande nichts, der Schande, dass eine Demokratie, eine Regierung „durch das Volk“ es so weit kommen lassen konnte – und nun diktiert die politische Korrektheit, dass man darüber nicht spricht, weder, dass es sich um einen schändlichen Ausverkauf der Demokratie handelt, und schon gar nicht, dass es sich um eine ernste Gefahr handelt: im letzteren Fall wird dann nämlich der Kritiker umgehend zum Radikalen erklärt, dem man dann nachsagt, er versuche das herbeizuführen, was der Kritiker den Politikern als Nachlässigkeit, als Trägheit vorwirft, nämlich, dass sie zulassen, ja sogar bewirken, dass es zu einer Rechtsbewegung kommt, weil die Menschen diesen Politikern nichts mehr zutrauen.

Die deutschen Medien reden heute von Balanceakt an einem Punkt, wo sie sich weiterhin unehrlich verhalten und sich weigern einzugestehen, dass sie ueber Jahre mit der von ihnen propagierten politischen Korrektheit in ihrem Lande einfach falsch lagen: den Österreichischen Konservativen werfen sie vor, es den Rechtspopulisten nachzumachen; ihren eigenen Konservativen prognostizieren sie, dass sie einen Balanceakt vor sich hätten, neben den Rechtspopulisten in ihrem Parlament von Heimatliebe, von Patriotismus und Identität zu reden, ohne in denselben Verdacht zu geraten, obwohl sie wissen, dass ihre konservativen Bürger ihre Rechtspopulisten gewählt haben, weil sie Patrioten sein dürfen wollen, weil ihre Regierung bisher die politische Korrektheit des Anti-Nationalismus auch auf den Patriotismus ausgedehnt hat. Dies in einer Selbstgerechtigkeit, die offenbar auf dem Erfolg ihrer Wirtschaft ruht, ohne jegliches Recht darauf aus demokratischer Sicht: aus derselben Selbstgerechtigkeit heraus befragen diese Medien einen Interviewpartner, was da faul sei im Staate Malta, nur um sich sagen lassen zu müssen, dass deutsche Unternehmen die dortige Mafiastruktur für ihre Zwecke nutzen, und dass es auch in Deutschland selbst ähnliche Strukturen gäbe.

 

Demokratie, das moderne Instrument der Macht: Politiker pflegen sie darin, ihre Macht, die Reichen werden darin immer reicher, auf Kosten der anderen; die Medien kommentieren und manipulieren, statt sich auftragsgemäβ auf neutrale Berichterstattung zu beschränken.

Gewaltenteilung wird gespielt wie ein Theaterstück – die Wahrheit spielt sich hinter jenem Vorhang der politischen Korrektheit ab, der von Medien und Politik in beiderseitigem Interesse jeweils an den kritischen Stellen des Stücks herabgelassen wird. Weh‘ dem, der zu sagen wagt, er wisse, was sich dahinter verbirgt. Notfalls wird dann diese Form von Demokratie zur absolutistischen Herrschaft einer Volksmehrheit, deren angebliche Rechtsstaatlichkeit darin besteht, die Interessen der Macht zu schützen, nicht die des Volkes.

Liebe Leute, besonders ihr jungen Leute, die nach Neuem streben: auch wenn sich Geschichte niemals lückenlos wiederholen wird können, es gibt da, betreffend den Menschen an sich, seit gut 2500 Jahren nichts wesentlich Neues, jedenfalls seit es politologisches oder polit-philosophisches Schrifttum gibt. Es gibt nur: den Willen zur Fairness, oder die Ausbeutung, samt den jeweils dazugehörigen Versteckspielen. All dies beruht darauf, dass wir Menschen in unseren Genen und Kulturen vieles als Erbe mittragen müssen, das gute neunzig Prozent unseres Verhaltens bestimmt. Auch wenn wir Willen haben wollen und uns im Prinzip Imperativen beugen, es bleibt uns insgesamt doch nur der gute Wille als Wegweiser, und der erfordert Gemeinsamkeit, nicht Kalten Krieg der Parteien gegeneinander. Dabei nützt es nicht, einander als „Sozialpartner“ zu bezeichnen. Der gute Wille müsste schon wirklich und echt sein. Ich sage dies vor allem, weil ich jenen Historikern recht gebe, die meinen, ein kreisförmiges Kommen und Gehen von Kulturen und politischen Systemen[i] sei nicht zwingend[ii]. Allerdings: die Rettung vor dem drohenden anarchischen Chaos mit nachfolgender Diktatur von was auch immer, diese Rettung hängt vom guten Willen ab, dem unbedingten guten Willen zu gemeinsamen Lösungen in Fairness.

 

[i] Platon, Politeia, 8.Buch.

[ii] Z.B. Arnold Toynbee, Menschheit und Mutter Erde. Geschichte der grossen Zivilisationen.

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