Zur Nahostpolitik des Westens
Ein Kommentar zum Artikel von B.Ulrich (Zeit-online 25.03.2016): Vom Rassismus zum Realismus
Endlich eine vernünftig tieffassende Stimme (endlich auch ungeschützte Kritik in freiem Fahrwasser betreffend die Position gegenüber Saudi-Arabien; Lob, obwohl in Ihrer Kritik die deutschen Lizenzen für die Herstellung deutscher Waffen in Saudi-Arabien nicht enthalten ist).
Und selbstverständlich nicht ohne weitere Kritikpunkte meinerseits – aber anders kann es zwischen Menschen aus offenbar biologischen Gründen (Jeder von uns ist aus unterschiedlichen Erfahrungen zusammengesetzt) nicht gehen, selbst dann, wenn sie einander den Respekt gegenseitigen Zuhörens erweisen:
Übereinstimmung am entscheidenden Punkt: dort, wo Sie darauf verweisen, dass unsere derzeitige Situation eine Quittung ist. Dies trifft zu bis hinein in die Tiefenpsychologie (wo der böse Sohn der Zeit, der ungeliebte, ausgegrenzte, durch die Hintertür hereinkommt mit Mord und Brand). Meine Kritik an dieser Stelle ist, dass der Verweis fast höflich zurückhaltend bleibt, gibt es doch fast keinen der Diktatoren im Nahen Osten seit Ende des Zweiten Weltkriegs, der nicht vom Westen inthronisiert worden wäre, nicht nur den einen konkret Benannten.
Wenn Sie darauf hinweisen, dass „sie“ ja ohnehin schon bei uns wohnen, dann geschah dies ohne Querverweis darauf, dass kein europäisches Land die Integration dieser Immigranten gewollt oder sonstwie geschafft hätte, vor allem, dass jetzt die Öffentlichkeit mit der Nachricht konfrontiert wird, nunmehr würden die Neuen, die Flüchtlinge, umgehend umfassend integriert: denn wen wundert ein AfD-Erfolg angesichts derart entmündigender Verdummungsversuche? Man könnte hier den Gedankenfaden etwas weiterspinnen mit dem Hinweis darauf, dass die Briten diese Integration ihrer früheren Kolonialvölker noch am besten geschafft hätten. Ich sage dies aber nur, um dann darauf hinweisen zu können, dass dieser Anschein fatal trügt; dafür zwei Beispiele:
- Es gibt Städte wie z.B. Birmingham oder Leicester, in denen gerade mal noch die Hälfte der Bevölkerung britisch ist und indisch-stämmige Einwohner als zweitgrößte Gruppe mehr als ein Drittel ausmachen, stellenweise das öffentliche Leben prägen, so sehr, dass man sich daran erinnern muss, dass man nicht in einem besseren Viertel von New Delhi ist sondern in England.
- England war das erste Land in Europa, wo um die Forderung nach Scharia-Law öffentlich politisch gekämpft wurde – Integration?
Ja, sie wohnen schon bei uns, sagen Sie richtig. Aber: was Inder in Großbritannien können, werden auch Moslems in Deutschland tun: ich habe zu viele Briten indischer Abstammung getroffen (besonders auf Reisen zwischen UK und Indien [„I am from India, but I live in the UK; ah, you mean „the Britishers, those Britischers“ …] die mir mit gelassenem Grinsen versicherten: wait another couple of generations, then we will take over that whole business of little Britain.
Die Forderungen werden lauter. Das Nachreichen von Familienmitgliedern nimmt zu.
England?
„ln Deutschland können Vorschriften der Scharia nach dem deutschen lnternationalen Privatrecht zur Anwendung kommen. Wenn ein in Deutschland lebender Ausländer vor Gericht zieht, dann bestimmt das lnternationale Privatrecht, welches Recht in seinem Fall anzuwenden ist.“
Ist das Integration?
Dies führt mich zum nächsten Kritikpunkt:
Freilich rufen Sie zurecht nachgerade dazu auf, dass es an uns ist, etwas zu tun, etwas zurechtzurücken in unseren Köpfen – aber was? Was genau, nicht nur bezogen auf die historische Schuld unserer Vorfahren und unser selbst, sondern für die Zukunft unserer Kinder?
Das Beste am Artikel von Precht und Welzer in der Zeit-Ausgabe vom 17.März war zu diesem Thema die Erwähnung der Neudeck-Idee betreffend die Adoption von Problemstaaten durch Länder des Westens. Denn damit wird an die Notwendigkeit erinnert, jetzt dringend nicht nur eine eigene europäische Nahost-Politik zu entwickeln, sondern konkrete Pläne zur Wiedergutmachung von Sünden der Kolonialmächte. Ich meine, dazu gehört zuallererst eine ernst gemeinte und durchgezogene Hilfe zur Selbsthilfe, endlich aufzuhören mit der Ausbeutung von Resourcen, endlich fair umzugehen mit den Menschen. Maßgeblich in diesem Zusammenhang wären markante, hörbare, sichtbare, spürbare Zeichen in den betreffenden Ländern. Dazu hat gestern der Präsident von Afghanistan mit seinem Interview für BBC einen entscheidenden Beitrag geleistet, eine Nachricht, die – so sonderbar es klingen mag – die Merkel’sche Willkommenskultur „mit Sofortintegration in die unbesetzten deutschen Arbeitsplätze“ nachgerade erneut beschämt als weiterhin kolonialistisch gedachte egozentrische Hintergedanken: Präsident Ghani sagt: was kann er der Attraktivität eines einladenden Deutschland entgegensetzen? Hunderttausende seines staatserhaltenden Mittelstandes laufen ihm davon, laufen einfach weg in dieses (mittlerweile zum Unwort unter den Rechtsgerichteten gewordenen) „better life“. Nur wirklich ernst gemeinte und dann auch wirklich ausgeführte Unterstützung von Ländern wie Afghanistan, Libyen, Algerien, etc. etc. für deren Entwicklung zu prosperierenden Staaten kann dieses Weglaufen ändern – nicht aber das Abdrainieren ihrer Eliten. Schon wieder, oder weiterhin, blüht also ein verdeckter Opportunismus unter dem Deckmantel des Samaritertums. Auch dies müsste vordergründig kritisiert werden. Denn anders schaffen wir den Weg aus dieser Krise nicht auf friedlichem Wege. Sie schreiben ja: sie kommen ohnhin in jedem Fall. Die Frage ist: ob mit oder ohne Waffen (die dann noch dazu wie bisher jene wären, die wir ihnen verkauft haben). Dass wir mit zunehmender Prosperität in allen Entwicklungsländern eine erneut ansteigende freie Migration auslösen würden, ist klar, dann aber nicht mehr gefährlich. Bis dahin würden aber in jedem Fall noch einige Generationen über die Welt gehen.
Zum Merkel’schen Versuch einer Versöhnung mit den Muslimen – wie Sie schreiben – bleibt dennoch das von der Kanzlerin geschaffene Problem der mangelnden Aufklärung / Information ihrer mitdenkenden Bevölkerung: warum Asyl unlimitiert und samt sofortiger Integration anstatt Gastrecht (laut Asyl-Antragsformular Aufenthaltsrecht für 1-3 Jahre), warum nicht Gastrecht anstatt Integration? Warum nicht Reform des Asylrechts angesichts einer sich dramatisch ändernden Welt? Warum nicht frühere Intervention in den Camps von Jordanien und Libanon, warum nicht rechtzeitig dort direkte Unterstützung? Warum erst jetzt Milliarden für die Türkei? (siehe: „Spätnachlese zur Merkel- Doktrin: Wir schaffen was? Mit sechzehn Fragen an Frau Merkel und Anmerkungen zur Diskussion, auf wordpress).
Zusammenfassend sollte meiner Ansicht nach also gelten: Wenn schon Schulung von Flüchtlingen vorort, dann Einschulung zur Rückkehr für den Aufbau bzw. Umbau der eigenen Heimat (es ist auch nicht fair, wenn jetzt westliche Soldaten ihr Leben in und über Syrien riskieren sollen, während Syrer für ein besseres Leben nach Europa kommen). All unsere Vorfahren haben jene Freiheiten bitter erarbeiten und erkämpfen müssen, von denen jetzt Andere gratis profitieren wollen, bei uns. Nicht unsere Heimat müssen wir ihnen geben, sondern ihre eigene müssen sie endlich voll und ganz in Besitz nehmen dürfen, mit unserer uneigennützigen Unterstützung, die ob des erheblichen Aufwandes nicht ohne Opfer abgehen kann – doch: wenn die Zivilgesellschaft meint, wir seien ihnen Hilfe schuldig, stimmt sie nicht gleichzeitig zu, dass wir ihnen erst recht diese Hilfe zur vollen, gleichrangigen Eigenständigkeit schulden?