Viele der Argumente im ZDF-Beitrag über Ossis und Wessis [i] stimmen überein mit einer Diagnose, die ich von S. Satjukow[ii] übernommen habe; sie haben die Diagnose sogar noch aktualisiert und präzisiert: denn sie weisen darauf hin, dass die Folgen des Besatzungstraumas aus der UdSSR-Zeit – die Symptome im psychiatrischen Sinne – nun übertragen werden von den Russen auf die Westdeutschen. Die Einen wie die Anderen lösen in den Ostdeutschen das Gefühl des Unterlegenseins aus, der Minderwertigkeit und des von oben herab Behandeltwerdens:

Fremdenhass hat in Europa zwei unterschiedliche Ursachen, abhängig von regional unterschiedlicher Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs:

Im Osten, besonders im Osten Deutschlands, beeinflusste die Dauerokkupation durch das kommunistische Russland die Entwicklung xenophobischen Verhaltens: das Verhältnis begann als weithin unbeschränkter Hass russischer Soldaten gegenüber der ostdeutschen Bevölkerung;  die Deutschen hatten begründete Angst vor den Russen; massive Übergriffe hatten eine verständliche Langzeitwirkung. Annäherung versuchte man von russischer Seite das gesamte halbe Jahrhundert hindurch zu unterbinden. So entstand in der ostdeutschen Seele ein kompliziertes Gemisch von Vorurteilen gegenüber Fremden, das seitens der Besatzer durch den Widerspruch zwischen dem Bild von Bruderschaft und Freundschaft im Kommunismus einerseits, andererseits aber durch die Dauerpräsenz als überlegene Besatzungsmacht geprägt war.i In diesem Fall waren also offenbar die Ostdeutschen die Ausgegrenzten und Unterdrückten im eigenen Land, ein Zustand, der sich bei manchen Bürgern der gegenwärtigen Generation als genereller Fremdenhass ausdrückt, ein dumpfes Vorurteil, das sich nicht mehr nur als Fremdenfeindlichkeit, sondern eben als deren pathologische Variante ausdrückt: Hass. Fremdenfeindlichkeit in den anderen osteuropäischen bzw. früheren sowjetischen Satellitenstaaten scheint direkt zu korrelieren mit dem Maß, in dem sie gegen das Sowjet-Imperium eingestellt waren: Ungarn, Polen und die damalige Tschechoslowakei haben etwa in dieser Reihung am deutlichsten Widerstand gezeigt ….. “ [iii]

Darüber hinaus muss man aber auch bedenken, dass Kulturen und Nationen häufig dazu neigen, sich gegenüber fremden Gruppen überlegen zu fühlen – ggf. bis sie die Erfahrung machen, dass man am fremden System tatsächlich Vorteile erkennt, die bewirken, dass das Leben im Alltag besser wird – das Nachkriegseuropa des 20.Jh hat dies mit seiner teilweisen zivilisatorischen Amerikanisierung erlebt (Kultur erfuhr dabei eher eine Nivellierung).

Den trivialen Unterbau des Verhaltens bildet selbstverständlich die animalische Xenophobie (Fremdenscheu) und Territorialisierung, die bekanntlich in Gegenden umso stärker ausgeprägt ist, je weniger Fremde tatsächlich vorort sind – nur in Ballungs-zentren stumpft sie ab, weil sich in einem Schmelztiegel verschiedener Bevölkerungs-gruppen kaum noch eine regionale Subkultur bestehen bleiben kann:

„Diese Mechanismen sind nicht nur in archaischen menschlichen Gesellschaften als selbstverständliches evolutionäres Erbe anzunehmen; sie existieren auch heute unvermindert: Territorialität tritt in der modernen Welt in Form von Staatsgrenzen ebenso direkt zutage wie die Reviere mafiöser Verbände. Fremde Gesichter lösen eine spontane Reaktion aus so wie auch in der Kindheit; wenn auch meist verborgen hinter einer Maske der Neutralität, so verrät sie sich hin und wieder doch durch Verhalten wie Vermeiden des Blickkontakts und von größerer Distanz sowie durch Reserviertheit. Dieser spontane „unbelehrbare Lehrmeister“ ist dennoch in einer zweiten, nun bewussten, Reaktion kontrollier-bar und kann durch Übung und Gewöhnung – z.B. in Großstädten – überhaupt das ursprüngliche Spontanverhalten „im Zaum“ halten. Insgesamt bleibt jedoch ein trennender Graben, messbar in Fuß und Metern, abhängig vom Ausmaß der unterschiedlichen äußeren Erscheinung, von den kulturellen Gewohnheiten wie auch vom erkennbaren religiösen Hintergrund. 

Die tief verwurzelte Ambivalenz der Xenophobie, diese scheinbar widersprüchliche Mischung von Verhaltensmustern und Emotionen, tritt eindrucksvoll hervor, wenn man diese negativen und abstoßenden Gedanken und Meinungen über Gruppen anderer Ethnizität und Religion [iv] vergleicht mit unserer Bewunderung für ferne Kulturen und unseren Wunschträumen von Menschen in fernen Ländern, mit ihrer mysteriösen Erscheinung und ihren fremden Gebräuchen. Was zu weit entfernt ist um zu bedrohen, oder was von vornherein friedfertig wirkt, ist Gegenstand unserer Neugier und zieht uns an. Es gibt kaum Menschen in der westlichen Welt, die nicht davon träumen, auf einer Pazifik-Insel oder in einem Land des Fernen Ostens einen Urlaub zu verbringen, bei Leuten einer fremden Kultur mit ihrem überraschend fremden aber köstlichen Essen. Viele von uns können auch hin und wieder der Traumvorstellung von außerirdischen Wesen nicht widerstehen, ob es sie nicht doch irgendwo geben könnte, und wie sie wohl aussehen mögen. Niemand denkt daran, einen Abwehrwall gegen Außerirdische zu errichten (Asteroide sind hier natürlich nicht das Thema), solange sich nicht eine unmittelbare Bedrohung ankündigt.  

Das unmenschlich Menschliche

Wenn wir nun also diese Xenophobie als „unmenschlich“ bezeichnen, einmal weil dies derzeit als politisch korrekt gilt, dann aber auch grundsätzlich, weil es sich um Verhalten aus dem tierischen Erbe handelt, dann vergessen und ignorieren wir dabei unsere evolutionären Wurzeln, etwas, das Teil von uns ist wie Mund und Nase. Außerdem beseitigt eine solche Verbannung eines Teiles unserer selbst auch die positiven Anteile dieser ambivalenten Eigenschaft „Xenophobie“, unsere träumende, schnüffelnd- neugierige Sympathie mit den fremden anderen Wesen da draußen in einiger Distanz, die nur zur Gefahr werden, wenn sie eine rote Linie überschreiten und zu nahe kommen.    

Viele von uns werden sich heimlich eingestehen, dass wir hin und wieder spon-tan reserviert reagieren oder sogar innerlich zusammenzucken, wenn wir mit einem fremd erscheinenden Mitmenschen konfrontiert sind, bis wir uns zu besinnen beginnen und unser Verhalten kontrollieren. Nirgendwo in der Literatur wurde Xenophobie in charmantere und berührendere Worte gefasst wie in Schikaneder’s Libretto zu Mozart’s Oper „Die Zauberflöte“: der Vogelfänger Papageno, selbst angekleidet wie mit einem Vogelgefieder, trifft in der Dämmerung Sarastro, den Mohr; beide schrecken zurück in der Überzeugung, dem wahrhaftigen Teufel zu begegnen. Nach einer Weile aber beruhigt sich Papageno und sagt: unter den vielen Vögeln, die ich kenne, sind auch schwarze, warum also sollte es nicht auch schwarze Menschen geben? 24

Das also ist Xenophobie, die biologische Tatsache, Instinkt, entwickelt über Jahrmillionen im Laufe der Evolution, neuerdings politisch nachgerade verfolgt – die Natur antwortet, hält dagegen. Und dies ist Territorialität, sozial akzeptiert als ein Recht auf Besitz, auf Land mit Zaun drum herum, das von anderen ohne Einladung nicht betreten werden darf. Der weise legendäre König Numa aus der Monarchiezeit des frühen Alten Rom machte „private Grenzen“ sogar zu einer eigenen Gottheit.N54 Nicht primärer Hass, sondern primäre Abgrenzung des Individuums von der Umwelt, steht am Beginn.N107  –  Trotz allen Verständnisses dieser unserer eigenen spontanen Reaktionen, und unserer Bedachtnahme darauf, bleibt am Ende dennoch diese Tendenz zur Rückkehr in das eigene gewohnte Milieu, dem Verbleib darin und zu einem gewissen Abstand vom gewohnten Milieu Anderer, das uns selbst fremd ist. „Kultur“ gewinnt in diesem Zusammenhang die Bedeutung auch von „gewohntem Umfeld“ mit all seinen Komponenten. Wir vermissen es in der Fremde, leiden unter Heimweh. All dies ist ebenso Tatsache, und Teil von Xenophobie und Territorialität.

Ethnische Xenophobie 

Aus dieser biologischen, genauer ethologischen, Sicht ist das Fremdeln zwischen Menschen verschiedener Ethnien gar nichts anderes als eine der Ausdrucksformen von Xenophobie …..“.[v]

[i] J. Breyer, Am Puls Deutschlands – wasmichimostenstoert. ZDF-zoom vom 14. 08. 2019, https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-am-puls-deutschlands—wasmichimostenstoert-100.html

[ii] S. Satjukow, Besatzer. Die Russen in Deutschland, Vandenhoeck & Ruprecht 2008

[iii] Auszug aus L.M. Auer, „Demokratie 4.0. Evidenz statt Macht“, zweite Auflage, BoD 2019, Kapitel „Aggression und Hass“, S.74f.

[iv] S. Stephens-Davidowitz, Everybody Lies. What the internet can tell us about who we really are. Bloomsbury 2018 (2017)

[v] L.M. Auer, „Demokratie 4.0. Evidenz statt Macht“, zweite Auflage, BoD 2019, Kapitel „Xenophobie und Territorialität“, S. 68ff.

Titelbild: Weser Kurier, Zeichnungen einer Zäsur, 30.09.2015, Was vom Schrecken blieb: Barbara Henniger zeichnete die Karikatur mit dem Titel „Menschenmauer“ im Jahr 1998. ABBILDUNG: BARBARA HENNIGER (fr, KAS)

 

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