Corona und die Erkenntnis vom freien Willen
„Diese Welt zeigt, dass es mit ihr zu Ende geht. Die Menschen erkennen, dass es so nicht weitergehen kann. Sie fühlen, dass ein Sturm von Wandel aufkommt. Manche suchen ein Versteck, Andere Ablenkung im Weitermachen wie bisher. Wieder Andere sehen darin ihre Chance, jetzt loszuschlagen und aus der Verunsicherung der Anderen das große Los für sich zu ziehen. Sturm kommt auf. Propheten haben ihn vorhergesagt. Aber was haben diese Propheten gesehen, was haben sie beschrieben? Haben sie die Lösung aus dem Dilemma beschrieben, oder die Ausweglosigkeit? Oder waren sie gar keine Propheten, sondern Erkennende, die warnen wollten vor einem drohenden Ende ihrer zu Ende gedachten Welt? Ändert euch, oder ihr werdet untergehen? Geht in euch, dort findet ihr die Lösung dieses Rätsels? Warnung, nicht Prophetie? Endzeit für die alte Welt nur, nur, nicht Ende, wenn die Neue beginnt, bevor die alte zu Ende.
Die Natur hat einen Webfehler in sich entdeckt. Sie hat den Menschen hervorgebracht, damit er ihr diesen Webfehler ausgleiche. Der Mensch sollte die Fähigkeit bekommen, den Weg der Natur durch die Zeit nachzuzeichnen und über ihr Ziel nachzudenken. Darüber sollte er den Webfehler entdecken und verstehen, dass, wollte er überleben, dies nur gelingen kann, wenn er diesen Webfehler ausgleicht. Der Mensch sollte erkennen können, dass er selbst der Ausdruck dieses Webfehlers der Natur ist, der leibhaftige Repräsentant dieses Fehlers in der wirklichen Welt. Er sollte aber auch die Fähigkeit erhalten, einen Ausweg zu finden, die Lösung des Rätsels. Er würde also in der Welt stehen, als Webfehler, der sich selbst reparieren könnte, wenn, ja wenn er sich denn ans Werk machte.
Der Mensch ist der Repräsentant einer zur Selbstbewusstheit verwirklichten Evolution.
Irgendwann müssen die Gene „erkannt haben“, dass sie mit der Methode, auf Kosten der anderen zu überleben, am Ende nicht überleben werden, wenn der letzte, das letzte Lebewesen, allein dasteht – das könnte nur eine Pflanze sein, kein Tier, das von Tier oder Pflanze lebt. Stehen zwei einander gegenüber, die wissen, dass beide sterben, wenn sie nuklear losschlagen, was werden sie tun?
Nur der Mensch erkennt, der Mensch repräsentiert, der Mensch ist diese Erkenntnis der Gene der tierischen Lebewesen: wenn “Überleben auf Kosten der anderen“ das Überlebensprinzip der Gene schlechthin ist, dann kommt der Punkt, an dem der Siegerpool vor dem Nichts steht, der letzte Überlebende, denn er kann von nichts mehr leben. Diese Erkenntnis muss das Resultat des Erkenntnisprozesses der Gene im Laufe der Evolution geworden sein: dass ihre Strategie letztlich zur Selbstvernichtung führen muss. Also bedurfte es der Erfindung eines Auswegs: er besteht darin, dass die Evolution sich mit ihrer Erkenntnis einrollte, um sich spiegeln zu können, um diese Erkenntnis auf einen Spiegel projizieren zu können, als Selbsterkenntnis ihrer Erkenntnis. Diese Selbsterkenntnis ist verwirklicht im Bewusstsein, in der Selbst-Bewusstheit des menschlichen Denkens: in diesem Denken rollt sich die im Laufe der Evolution gemachte Erfahrung auf, wird zurückverfolgt bis zu ihren Anfängen, und von dort zurück herauf bis in die Gegenwart, dort, wo dieses Denken vor der Frage steht: was nun?
Diese Frage darf natürlich nicht erst gestellt werden, wenn der letzte Genpool sich alleine auf der Welt stehen sieht, denn das ist die Zeit kurz vor dem Ende.
Die Antwort muss also spätestens im vorletzten Moment gefunden werden: sie wird gesucht in und zwischen den letzten beiden Überlebenden, die einander umstreifen mit der Überlegung, wie sie den anderen überwinden können, um als alleiniger Sieger übrigzubleiben. An dieser Stelle spielen zwei Informationen eine entscheidende Rolle: erstens: der atomare Radikalschlag scheidet aus, weil er die leicht erkennbare gleichzeitige Selbstvernichtung bedeutet. Es kann also nur auf dem Wege konventioneller Waffen gelingen. Zweitens: der Mensch lebt in Gedanken planend in der Zukunft, aufbauend aus seinen Erfahrungen, die seine Erinnerung füllen. Planend in die Zukunft schauend überlegen sich also diese beiden Letzten, die da einander gegenüberstehen: was kommt als nächster Schritt, wenn ich den anderen besiegt habe? Spätestens jetzt erkennen also beide, dass sie mit der Überwindung des letzten Gegners sich selbst vernichten, weil es keine Überlebensbasis mehr gibt.
Sie stehen also einander gegenüber und erkennen Jeder im Blick des Anderen diese Erkenntnis. Sie sehen einander an wie Kain den Abel und Abel den Kain. Sie verstehen den Wahn, an dessen Endpunkt sie beide diese Erkenntnis haben, eine, die Kain und Abel noch nicht hatten, die sie hätten haben können, die sie aber nicht hatten: gleich wer wen von beiden tötet, du tötest dich damit letztlich selbst. Also erfüllen sie den Plan der Gene, nehmen den Ausweg aus dem Dilemma und schließen eine Allianz der Vernunft in Reziprozität. Die beiden Letzten können wir sein, die Menschen der Gegenwart: wir können zu den Grün-dern eines neuen Sozialsystems werden, das eine friedliche Welt der Regionen und Kulturen ordnet, globale Demokratie der Demokratien in Reziprozität.
Vernunft besteht jetzt also darin, aus der Erkenntnis des Dilemmas der Gene, dass sie ihrer Selbstvernichtung entgegensteuern, (und zu ihrer eigenen Rettung den Menschen geschaffen haben, der sie davor retten soll), aus dieser Erkenntnis den Schluss zu ziehen, dass Reziprozität Alle überleben lässt. Der Repräsentant dieser Vernunfterkenntnis in der wirklichen Welt ist der Mensch.
Die Natur, die Gene, haben erkannt, dass der Pflegetrieb als Garant der Sicherung des eigenen Fortbestehens in künftigen Generationen nicht ausreicht, weil die erwachsenen Individuen allesamt dem Prinzip des Überlebens auf Kosten der Anderen folgen, und damit am Ast sägen, auf dem der Genpool selbst sitzt. Der Pflegetrieb schützt Nachkommen und Familie, Clan, bestenfalls Nation. Doch schon die Nationen fressen sich selbst innerlich auf, indem Stämme dort gegeneinander, die einen auf Kosten der anderen, zu überleben suchen. Letztlich schließt sich der Kreis dort, wo die zwei letzten überlebenden Nationen, bzw. deren Repräsentanten, einander gegenüberstehen mit der Frage, ob jemand überleben wird. Jedenfalls scheint sich zu erweisen, dass im Überlebensfall die Entscheidung durch Umsetzen von Erkenntnis, geschöpft aus bewusster Denkkraft fällt, wie schon Lebon in der Überschau seiner Erfahrungen meinte“.N86 [i]
Ob Meteor, Supervulkan oder Pandemie: unsere Umwelt bestimmt die Evolution; auch ihr Ende. Ihr Anfang liegt jenseits, in der Ungewissheit der Wahrheit, wo sich im Kosmos Wissen an der Wirklichkeit von Materie und Energie bricht, an deren Eigenschaften und der Herkunft der Eigenschaften. Wir sind nicht die Herren von Anfang und Ende dieser Welt – Aber dazwischen regieren wir Menschen, kraft unserer Erkenntnisse – wäre da nicht die ständige Gegenkraft aus der Kreatürlichkeit, die uns wie in einen Strudel der Selbstzerstörung zieht.
Warum aber Corona, und warum Endzeit?
Diese Krise hat immerhin Alle zum Einhalten gezwungen, zum Nachdenken eingeladen, zur Readjustieren allen Planens aufgefordert. Dieses Nachdenken kann bewirken, dass wir wieder sehen, was schon lange direkt vor uns steht: die Tatsache zum Beispiel, dass mittlerweile nicht nur die Umwelt uns, sondern auch wir die Umwelt zerstören können – dass wir unentwegt in nahezu ungebremstem Wahnsinn an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen, in verrücktem Glauben an ewiges Wirtschaftswachstum und andere selbstzerstörerische Irrbilder in Gier Erblindeter – wer daran nichts Endzeitliches erkennt …
Welcher Wandel steht bevor? Hat Leben hier noch andere Chancen als unsere Erkenntnis des Nutzens von Reziprozität und Altruismus, die Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit, und der Notwendigkeit, diesmal aber auch danach zu handeln?
Wollen wir die Rufe und Klagen der schon wieder aus Mangel an rechtzeitiger Vorsorge (siehe Fluch aus dem Hades) Geopferten diesmal wieder nicht hören, weil wir möglichst umgehend wieder zur bisherigen Normalität zurückkehren müssen, beruhigt darüber, dass es ja ohnehin nur Andere erwischt hat?
Manche beantworten die Frage nicht positiv:
Salman Rushdie in den Mitternachtskindern: „Geschichte ist natürliche Auslese … Die Schwachen, die Anonymen, die Besiegten hinterlassen wenig Spuren“.[i] Ingeborg Bachmann: „Die Opfer sind die Opfer.“[ii]
Aber die Möglichkeit besteht weiterhin, nach unseren Erkenntnissen zu leben, noch – wie lange noch? Es will scheinen, dass dies der Punkt ist, an dem sich die Existenz des freien Willens erweist: noch haben wir die Wahl, uns gegen die Selbstzerstörung auf allen Ebenen zur Wehr zu setzen.
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[i] L. M. Auer, Demokratie 4.0, Evidenz statt Macht, BoD 2019, S. 506 (N321)
[i] S. J. Al-Azm, Unbehagen in der Moderne. Aufklärung im Islam, Fischer 1993, S. 47
[ii] Ingeborg Bachmann: Das dreißigste Jahr. Unter Mördern und Irren.DTV München1980.
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