Von nicht-sprachlicher Bewusstheit, und vom Musizieren
Bewusst nicht-sprachlich Denken ist Fühlen.
Die bewusste Erfahrung davon „erfanden“ östliche Weisheitslehrer mit der Meditation, die damit beginnt, sich darauf zu konzentrieren, mit dem Denken aufzuhören und einfach nur zu sein.
„Mir ist so, ich weiß nicht wie“ drückt klar aus, dass jegliches Verbalisieren von Gefühlen eine Interpretation des Wirklichen, des wirklich Gefühlten sind, und oft eben unmöglich in Worte zu fassen. Statt „Gefühle“ könnte man daher auch sagen „gefühlte Befindlichkeit“ – wer „außer sich“ ist, kann auch einmal das Gewahrsein um seine Befindlichkeit verlieren, zum Beispiel ausgedrückt mit „von Sinnen“. Kontrollieren kann man seine Gefühle nicht, nur seine Emotionen.
Interpretationen in Worten dieser Gefühlten Befindlichkeit lauten dann: „ich bin froh, noch besser „ich frohlocke“, oder „ich bin traurig“, „ich trauere“. „Ich habe ein Gefühl“ ist einen Schritt davon entfernt: der Interpret „ist“ nicht mehr „froh“, er denkt darüber nach, was das ist, froh zu sein, und meint „ich habe den Eindruck, ich fühlte Freude, den Eindruck, froh zu sein“. An manchen Stellen überschneiden und vermischen sich aber die Distanzen des Interpreten zu seiner Gefühls-Befindlichkeit, z.B. wenn er sagt. „Ich hab‘ so ein Gefühl, ich weiß nicht was“.
Wenn wir fühlen, sind wir „in Trance“, zumindest „wie in Trance“, schalten das interpretierende verbale Denken aus und schweben im Fühlen.
Die Musik selbst ist ein Ausdruck dieser Form der Versenkung: wer der Musik aufmerksam folgt, hört auf, verbal zu denken, fühlt nur noch, interpretiert allenfalls non-verbal die Gefühlswelt, die der Komponist mit der Musik an die Zuhörer überträgt. Dies merkt man dann, wenn dieser Zustand übergeht in Gedanken an Personen, Dinge und Ereignisse, die einem nun, da man an nichts anderes dachte, zufällig, spontan einfielen.
In manchen Bereichen der Befindlichkeit stellten wir Menschen aber Ähnlichkeiten zwischen uns fest, wir kommunizierten darüber und entwickelten verbale Ausdrücke dafür, um einander zu übermitteln, dass wir z.B. stolz sind, froh, traurig etc. Das Eigentliche an der individuellen Befindlichkeit ist jedoch nicht ausdrückbar, es ist wie es ist, nicht vermittelbar, vergleichbar, als ähnlich deutbar, nur eben wieder nur inter-pretierbar, in Musik, Farben, Formen, und letztlich doch wieder Sprache, wobei Sprache die schlechteste Form ist, außer wenn es gelingt, zwischen den Zeilen eine Atmosphäre zu schaffen, eine Gefühlswelt, ein „irgendwo irgendwie Sein“, z.B. bei einer Gruppe dabei sein, um die es im Text geht, in einer Welt mitleben, die dort beschrieben ist, so, als wären wir gerne dabei, so sehr, dass wir sie nur sehr bedauernd verlassen – Manche lesen deshalb Bücher oftmals, oder noch direkter: sehen Filme immer wieder an, was wiederum zurückführt zur Musik, denn Film ohne Filmmusik „geht nicht“ (außer wenn Stille „spricht“).
Dennoch aber folgt Musik über weite Strecken dem Wort, wenn sie ihre Formen anpasst: mit Einleitung, Variationen und Schluss zum Beispiel.
Mit diesem „eine Atmosphäre schaffen“ meinen wir auch „Transzendieren“, also von einer Ausdrucksform in eine andere übertreten oder hinüberleiten, z.B. von Hören oder Sehen in Fühlen. Damit aber bildet der Künstler die Funktion des Gehirns ab: denn er inter-pretiert „in Gefühlen“ einen Eindruck in eine gefühlte Befindlichkeit und drückt diese wiederum aus in Ton, Bild oder Wort. Das heißt, er leistet jene Arbeit, die in einem Gehirn abläuft, wenn ein Eindruck in der rechten Hirnhälfte verarbeitet und als Gefühl interpretiert wird und dort eine Gefühls-Befindlichkeit schafft. Wir sind dann „gestimmt“, in einer „Stimmung“, und drücken diese evtl. in einer Emotion aus.
Dass wiederum der akustische Ausdruck unserer Gefühls-Befindlichkeit der wichtigste ist, geht allein schon daraus hervor, dass er der naheliegendste ist, oder umgekehrt könnte es auch sein, – man muss fast sagen naheliegenderweise – dass sich nämlich der verbale aus dem stimmlichen entwickelt hat, einfach deshalb, weil eine Gefühls-Befindlichkeit in Tönen ausgedrückt wird, zuerst in Gesang vielleicht, jedenfalls in „Ur-Tönen“, und dann in Sprache mit Tönung: der Ton macht dann die Musik, die die linke Hemisphäre verwendet, nämlich die Atmosphäre, die Gefühls-Atmosphäre, die mit der Tönung der Sprache ausgedrückt wird. Jedenfalls sind Töne die Emotion von Gefühlen und die Expression von verbalen Gedanken.
Man könnte also sagen: es gibt keinen Menschen ohne Musik, denn des Menschen Sprache ist verbale Interpretation von Inhalten mit Begleit-Musik, im Sinne von musikalisch ausgedrückten verbalen Gedanken: eintönig, befehlend, einschmeichelnd, überzeugend, kleinlaut, so und auf unendlich viele weitere Weisen können wir sprechen, niemals aber ohne Tönung, d.h. Emotion in der Sprache.
Davon ausgehend können wir die Hypothese aufstellen, dass Sprache eine immer mehr zunehmende Differenziertheit im musikalisch-verbalen Ausdruck ist. Am Anfang steht ein Ausdruck von etwas: ein zorniger oder ein sanfter Ton, ein Brüllen, ein Säuseln, ein Singen, ein Anherrschen, ein Drängen, ein Nachgeben, ein Drohen, Befehlen, oder Schweigen, also eine akustische Emotion einer Gefühlslage. Dem folgte die Entwicklung unserer Sprachwelt.
Im musikalischen Konzertieren finden die Menschen engste Gemeinsamkeit, gönnen einander die Freude der Erhöhung in der Gemeinsamkeit, weil jeder einzelne Beitrag nur im Verein des Ganzen tönt, als das Ganze also. Alle gönnen einander diese Erhöhung des Einzelnen im Gemeinsamen. Daher kommt wohl auch die Rührung und Entrückung von Musikern in ihrer eigenen Musik, gemeinsam, aber eben nur gemeinsam, können sie sich über die Gravitation erheben, diese erhebenden Momente einander schenkend. In ihrem harmonischen Musizieren bestärken und anerkennen sie einander in ihrer wiederum einander gleichen bewusst genossenen Daseinsberechtigung – in Gemeinsamkeit und gegenseitiger Abhängigkeit, Letzteres eine Wahrheit, die alle interessensgruppenbetonte Argumentation durch ihr Transzendieren durchlöchert bis hin zur Selbstvernichtung der Urheber solcher Argumentation in Wort und Tat.
Damit drängt sich der Gedanke an den Virtuosen hervor: im Konzert ist er nichts ohne sein Orchester; als Solist erinnert er seine Mitmenschen daran, dass nichts ursprünglich aus einer Gemeinschaft entstehen kann, sondern nur aus einem einzelnen Gehirn, einem fühlenden und denkenden Wesen in Bewusstheit – nur mit solchem transzendierten Ausdruck aus Einzelnen kann Gemeinschaft umgehen. Kreativ sind also nur die Einzelnen, wenn auch einander erhöhend in Gemeinsamkeit.
Kein Musikstück wurde von einem Team erfunden, ebenso wie eine Idee nur in einem Einzelgehirn entstehen kann – Gemeinschaften wie Gruppen und Massen haben nun einmal kein gemeinsames Gehirn. Aber gemeinsam können sie einander wirkend erhöhen.
Musik versteht man am besten, wenn man sich Filmmusik vorstellt und erkennt, wie platt und distant die Handlung ohne die Begleitmusik wird, die unsere Gefühlslage gegenüber den Geschehnissen ausdrückt. Musik für sich allein wird demnach zu „Nur-Begleitmusik“.
Ein Wort zur Musik-Pathologie: Musik kann im Menschen die Gefühls-Befindlichkeit spiegeln, z.B. zur Schwermut, Melancholie, Ausgelassenheit oder Aggression verstärkend wirken – in jeder dieser Formen lässt Musik „die Bären tanzen“; hier sind dann unsere Gefühls- und emotionalen Befindlichkeiten die Bären, deren Tanzen ausgelöst oder verstärkt wird. Bei krankhafter Gefühlswelt wie Depression kann Musik daher verschlimmernd wirken, weil sie dazu führt, dass das Krankhafte verstärkt wird, also die kranken Bären zu tanzen beginnen – bei der Aggression sind es dann eben die Waffen.
Und noch ein Schlusswort zu Begriffsbedeutungen – ich wollte es nur nicht belehrend an den Anfang stellen: „Gefühl“ ist die Gesamtheit des Fühlens. „Emotion“ bedeutet „Gefühlsausdruck“ – vom Lateinischen „emovere“, herausbewegen oder eben „ausdrücken“ im Sinne von Ausdruck einer Rührung, Bewegung, Erschütterung, Empörung, Aufregung; denn alle diese Hauptwörter stehen für das Zeitwort „movere“; das betrifft z.B. spontane Tränen, Brüllen, Schluchzen oder Bewegungen wie Kopfnicken, Kopfschütteln, die Fäuste ballen („spontan“ zum Unterschied von gespielt).
Musik ist eben Gedachtes der Gefühle, ist „Nur-Begleitmusik“; Musizieren hingegen Emotion